Über Marlies


Maria-Elisabeth Bolsinger

geb.   05. Mai 1952

gest.  22. April 2012

 

Beruf:

Zahnarzthelferin

Zwanzig Jahre in stationären Pflegeheimen.

Seit dem 29. Februar 2012 bis zu ihrem Tode am 22. April 2012 lebend in Magstadt (Landkreis Böblingen)

52 Tage Selbstbestimmtes eigenständiges Leben mit dem Persönlichen Budget nach § 17 SGB IX

 

Qualifikationen:

Maria-Elisabeth Bolsinger liebte das Leben. Sang früher in einem Chor, summte gerne Volkslieder und hatte gerne persönliche Kontakte.

 

Interessen:

Seit Dezember 2009 (!!!)  versuchte Maria-Elisabeth Bolsinger durch Antragsstellung an die AOK Baden-Württemberg für ein Persönliches Budget nach § 17 SGB IX ein eigenständiges Leben führen zu dürfen.

Erst am 1. März 2012 zog Maria-Elisabeth Bolsinger in eine eigene Wohnung mit Unterstützung ihrer Assistentinnen.

Frau Bolsinger war fast erblindet (100 % schwerbehindert), eine Beatmungspatientin und hatte durch die vielen Krankenhausaufenthalte den MRSA Virus.

 

Frau Bolsinger fand Unterstützung durch den Verein Forsea e.V. und vom Ambulanten Pflegedienst "Pour la vie Pflege GmbH / Für das Leben GmbH, Sozialer Dienst, Gerda Mahmens, Wollgrasweg 31, 70599 Stuttgart, Tel. 0711 - 633 78 320, Mobil 0176 - 10 425 980 Email: gerda.mahmens@pourlavie-pflege.de - www.pourlavie-pflege.de

 

52 Tage Selbstbestimmtes Leben

 

Maria-Elisabeth Bolsinger

geb. am 05.05.1952

verst. am 22.04.2012

 

Im 60zigsten Lebens- und ihrem Todesjahr passierte für Maria-Elisabeth Bolsinger das fast Unglaubliche: 52 Tage lebte sie ein selbstbestimmtes Leben mit Unterstützung ihrer Assistentinnen in der Gemeinde Magstadt (Landkreis Böblingen).

 

Nach außen hin wurde Frau Bolsinger oft als schwieriger Mensch wahr genommen, so schilderte es die Trauerrednerin Frau Rita Manz während der bewegenden Trauerfeier am 26.04.2012 in Leonberg. Zitat “ ... als eine Frau, die unzufrieden ist und dauernd etwas fordert, die sich nicht mit den Gegebenheiten arrangiert, sondern als Persönlich ihren eigenen Status beansprucht. Man muss sie bewundern, man fragt sich, woher sie immer wieder die Kraft nahm sich aufzulehnen und etwas in Frage zu stellen, sich an diejenigen zu wenden, denen sie meinte vertrauen zu können- Es fiel ihr schwer, denn sie wurde oft enttäuscht.“

 

Am 2. Dezember 2011 rief Frau Bolsinger wohl zum xxxzigsten Male einen Pflegedienst an. Sie lebte zu diesem Zeitpunkt seit August 2011 in einer stationären Pflegeeinrichtung in Donzdorf (Ostalbkreis) in Isolation (!). Monatelang in diesem Zimmer, tagsüber sitzend an ihrem Lesegerät womit sie sich die WELT zu sich holte: Kataloge, die ihr bunte Bilder boten, Briefe, die sie lesen oder auch schreiben konnte, oder telefonierend: über Festnetz, dass ist aber abgeschaltet worden war, weil zuviele Telefonkosten entstanden waren, an ihrem Mobiltelefon, das sie mit der WELT verband. Zurück zum Freitag, 2. Dezember 2011 Frau Bolsinger rief den Pflegedienst Bettler in Stuttgart an. Sie schilderte kurz ihre Geschichte: „Lebe seit 20 Jahren in Heimen, bin Beatmungspatientin, blind, habe MRSA und suche Hilfe und Unterstützung für ein eigenständiges Leben mit dem Persönlichen Budget nach § 17 SGB XI“ Wou ! Wie geht das, hat wohl die Mitarbeiterin vom Pflegedienst Bettler sich nach dem Telefonat gedacht, aber die Telefonnotiz dem Chef weitergegeben, der diese Information an den Sozialen Dienst weitergabt: an mich, Gerda Mahmens.

Ich vereinbarte mit Frau Bolsinger einen Kennlerntermin. Bereits am Dienstag, 6. Dezember 2011, besuchte ich zusammen mit unserem Azubi Frau Bolsinger im Pflegeheim in Donzdorf.

Diesen Besuch werde ich nie vergessen. Die Bilder haben sich beim Azubi und mir eingeprägt: eine Frau inmitten Papiermülls, dazwischen Essensreste, Kleidungsstücke, Stifte, Schläuche vom Sauerstofftank zu Frau Bolsinger, daneben ein nicht geleerte Toilettenstuhl (seit Tagen nicht!), ein verdreckter Nachttisch, auf den Boden (Auslegeware) festgetretene Essensreste, untem Bett schmutziges Geschirr, verdreckte Gardinen, auf der Fensterbank ein Glas Rollmops, das fast explodierte (!), ein Schrank mit fehlenden Türen, ein Radio, dessen Stecker aus der Steckdose herausgezogen war - oh, und ein Bett, das saubere Bettwäsche hatte. Kurzum für uns eine Katastrophe.

Natürlich für uns Besucher keine Hygienemaßnahmen - MRSA Patientin. Erst auf Nachfrage habe ich dann bei meinem nächsten Besuch am 18. Dezember 2011 diese Möglichkeiten vorgefunden.

Aber, ich erhielt nach dieser schriftlichen Nachfrage an den Heimdirektor ein Hausverbot !!! Habe ich mich aber nicht darum geschert.

Zurück zum 6.12.2012. Ich hörte zu was Frau Bolsinger mir erzählte.

Das Persönliche Budget nach § 17 SGB XI hatte sie bereits im Dezember 2009 beantragt !!!!

Unterstützung fand Frau Bolsinger all`die Jahre von der Forsea e.V. durch den Vorsitzenden Herrn Bartz. Aber, trotz Antrag, trotz Nachfragen: es gab keine Entscheidungen, Widersprüche: nichts.

Jeder, die AOK Baden-Württemberg, die Sozialämter, später andere Institutionen: bis Dezember 2011 gab es niemanden, der sich dem Antrag annahm, der den Wunsch auf eigenständiges Leben umsetzen wollte.

In einer Mail von einem Sozialamtsleiter stand: “ Was will die Frau: es geht ihr doch gut. Sie hat ein Dach übern Kopf und zu essen“

Diese Vorkommnisse geschahen nicht vor 100 Jahren, auch nicht im Nationalsozialismus, auch nicht vor 40 Jahren: NEIN, das ist die Katastrophe: heute - im Jahr 2012.

 

Seit 2008 haben wir die Rechtsgrundlage auf eine eigenständiges Leben für Behinderte in einem Gesetz verankert: § 17 SGB XI.

 

Gerade in Baden-Württemberg gab es vor 2008 einige Modellversuche, u.a. in Stuttgart und auch im Landkreis Böblingen !

 

Aber die Realität für Behinderte sieht miserabel aus.

Woran liegt es ?

 

Behindertenverbände, die ich durch meine Arbeit für Frau Bolsinger kennenlernen durfte, wie Forsea. e.V., Aktive Behinderte e.V. aus Stuttgart, oder Selbstbestimmt Leben e.V. Ludwigsburg, sind unglaublich engagiert und bewegen auch einiges - aber es reicht nicht.

Das soll bitte nicht als Vorwurf verstanden werden.

Das soll Mutmachen sich zu vernetzen, Interessengemeinschaft zu bilden um stärker die Behinderten und deren Angehörige zu informieren welche Rechte sie beanspruchen und wahrnehmen dürfen und können.

 

Das soll und wird ab sofort unser Engagement sein.

Wir, Pour la vie Pflege GmbH , wollen durch die Arbeit mit und um Frau Bolsinger, ihr dabei behilflich gewesen zu sein, 52 Tage eigenständig gelebt haben zu dürfen, ein bleibendes Andenken setzen, wie ein Denkmal: Wir wollen diese Interessengemeinschaft aufbauen.

 

Frau Bolsinger hatte seit Jahren keine Kontakte mehr zu ihrer Familie.

Wie auch, man verstand ihr Verhalten nicht. Genauso wenig, wie hunderte Pflegekräfte, die ihr in den 20 Jahren ihrer Odysee durch die Pflegeheime begegnet sind, die Frau Bolsinger nicht verstanden.

 

Man meinte es ja nur gut mit ihr !

Wie konnte sie sich nur immer so aggresiv verhalten ?

Was fiel dieser Frau ein, die Polizei anzurufen, wenn die Sauerstoffzufuhr nicht funktioniert ?

Man stellte sie unter die Obhut eines Betreuers. Der wird es schon richten !

Frau Bolsinger nahm den Kampf auf und erhielt ihre Geschäftsfähigkeit zurück !

 

Am Dienstag, 29.02.2012 sollte ihr TRAUM wahrwerden. Gegen 17.00 Uhr kamen wir zu ihr nach Donzdorf um sie abholen.

Wir, das waren fünf Frauen, Assistentin, die ich aus vielen Bewerbungen herausgesucht hatte, die bereits mehrmals mit Frau Bolsinger telefoniert hatten, die genauso gespannt waren auf das Abentuer „Selbstständig leben“ wie Frau Bolsinger und wie ich.

Die größte Überraschung für Frau Bolsinger war die Fahrt in einem PKW. War sie doch die letzten 20 Jahre nur im Krankenwagen transporiert worden. Jetzt fuhr sie nach Hause, nach Magstadt.

Die wenigen Habseligkeiten waren schnell verstaut. Schuhe gab es keine. Ich brauchte ihr Sandalen mit. Rollstuhl fuhr auf den Felgen. Lesegerät war 40 Jahre alt. Aber was soll`s sprachen wir und ab die Fahrt nach Magstadt.

Warum Magstadt ? Viele Wohnungen hatte ich mir angeschaut im Januar und Februar 2012. Nichts passendes dabei. Betreutes Wohnen kam nicht in Frage: Institutionen wollten keine MRSA Patientin aufnehmen. Die Gemeinde Magstadt bot mir aber eine 2 ZimmerWhg. in der Brunnenstraße 7 an, seniorengerecht.

Die Renovierung übernahmen zwei engagierte Menschen. Die Kosten der Farbe übernahm der Pfarrer von der Klinik Göppingen und ein nicht genannter Spender.

Die Hilfsmittel wurden alle vom Donzdorfer Hausarzt Dr. med Mike Gold ausgestellt. Dr. Gold gebührt ein besonderer Dank. War doch er derjenige, der Frau Bolsinger ermutigte endlich ein Leben in Eigenständigkeit und der wöchentlich bei mir anrief und sich nach dem Sachstand erkundigte.

 

Ein Cousin von Frau Bolsinger half bei der Einrichtung der Wohnung mit: er brachte eine Herdplatte, eine Mikrowelle, einen Kühlschrank und einen großen Schrank und stellte in den Kühlschrank eine Flasche Sekt, als Willkommensgruß für „Marlies“, wie sie von ihm genannte wurde und dem Team.

 

Organisiert wurde von mir alles weitere, wie ein Sofa, Tisch, Stühle, Schreibtisch, Bilder an der Wand, Geschirr und natürlich Lebensmittel. Denn bis heute hat das Sozialamt, ob nun vom Ostalbkreis, oder Landkreis Böblingen, keines hat auch nur im geringsten auf ihren Antrag auf soziale Unterstützung reagiert!. So blieb Frau Bolsinger nichts anders übrig, als ihre Miete durch die Rente zu zahlen und die Lebenshaltungskosten durch das Blindengeld. Hinzu kam dann für mich die Erkenntnis, dass Frau Bolsinger große Verbindlichkeiten aufgebaut hatte, durch viele Telefonrechnungen, egal welchen Anbieters, durch Bestellungen bei Neckermann, Sieh an usw. usw.. Frau Bolsinger wollte irgendwie alles richten und zahlte monatlich an jedem Schuldner 5,-- € - auch diese Beträge summierten sich und gingen von ihrem Blindengeld ab.

Und, sie hatte vor zwei Jahren eine Sterbergeldversicherung abgeschlossen. Sie erzählte uns immer genau wie und was sie einmal haben wollte, wenn sie versterben sollte.

Und, sie hatte vor kurzem eine Rechtsschutzversicherung abgeschlossen, die sie nicht mehr in Anspruch nehmen sollte während ihres Lebens.

 

Aber zurück zum 29.02.2012 ! Frau Bolsinger kam aufrechtsitzend in ihr ZUHAUSE. Brauchte Zeit um die Wohnung „wahrzunehmen“, saß dann im Kreis ihrer Assistentinnen und mir, hielt das Sektglas in der Hand und hielt eine Rede. Uns, die wir dabei waren, werden diese Minuten in ewiger Erinnerung bleiben.

 

Nun, und dann ging es los ! Das eigenständige Leben - mit allem was dazu gehörte, sich wieder einzuleben in die Tagesstrukturen, im Umgang jetzt mit immer einem Menschen an ihrer Seite, unter Mithilfe der Sozialstation Magstadt, der neuen Hausärztin, der Pflegefachkraft Monika, tschja und mit mir, die versuchte in langen Gesprächen ihr, Frau Bolsinger, Mut zu machen oder Grenzen zu setzen, organisatorisches zu besprechen und mit ihr die Untätigkeitsklage vorzubereiten gegen die AOK Bayern. Denn immer noch hatte sich die AOK nicht geoutet ! Das Persönliche Budget nach § 17 SGB XI war immer noch nicht „im ‘Rennen“, sondern in der Einbahnstraße gelandet.

 

Die Assistentinnen waren täglich gefordert. Galt es für sie als ihre Aufgabe Frau Bolsinger in das eigentständige Leben zu begleiten, aber auch ihr Granzen zu setzen und ihr wieder die Freude zu geben hinaus zu gehen. Das erste Mal nach vielen Jahren fuhr sie im Rollstuhl über einen Friedhof, durch einen Supermarkt, auf einen Wochenmarkt. Sie hängte Ostereier an ihren Osterstrauch, sie schrieb fleißig Briefe u.a. an ihre Schwestern. Einladungen zu ihrem 60zigsten Geburtstag am 5. Mai 2012. Eine große Feier sollte es werden.

Einen Vogelkäfig wünschte sie sich. Ich kaufe ihr dann einen trillernden Vogel, der auf Tuchfühlung trillerte und den sie sich auf ihren Nachttisch stellen konnte, der übrigens auch in ihrer Sterbestunde trillerte.

 

Auch Assistentinnen gerieten an ihre Grenzen - und schon in der ersten Woche musste ich zwei Assistentinnen „austauschen“. Frau Bolsinger schaffte es dann doch sehr schnell sich einzugewöhnen, sich am Leben zu erfreuen, wieder Volkslieder zu summen, sich über das Mittagessen zu freuen - einfach am Leben wieder teilhaben zu können.

Und sie freute sich über Besuch: den sie auch reichlich erhielt. Die Assistentinnen sorgten schon für Umtriebigkeit.

Am Samstag, 31. März 2012, am späten Abend, dann die erste große gesundheitliche Herausforderung: Frau Bolsinger fühlte sich nicht wohl. Die Assistentin drückte den Notrufknopf und Frau Bolsinger wurde ins Krankenhaus nach Sindelfingen eingeliefert.

Ihre Assistentinen waren bei ihr. Denn sie kam sofort wieder in Isolation auf der Inneren Abteilung in Sindelfingen. Das Team und ich sprachen mit den behandelnden Ärzten: „Ach so ein paar Stunden am Tag, sollten reichen, meinte einer“. Wir blieben dann 6 Stunden täglich. Sonntagabend bereits rief eine Schwester bei mir an :“ Wie wird das Beatmungsgerät bedient?“. ‘Telefonisch hat dann die Assistentin Steffi der Schwester Auskunft gegeben.

Montag, 02. April 2012 lag Frau Bolsinger auf der Intensivstation ! Ohne, dass man mich informiert hatte. Ich fuhr sofort in die Klinik. Arztgespräch: „Warum die und die Medikamente?“ Darauf kann doch ich keine Antwort geben. Informierte den Donzdorfer Hausarzt Dr. Gold, der sofort mit der Klinik telefoniert. Man fragte mich nach der Patientenverfügung. Frau Bolsinger hatte ihre Verfügung hinterlegt bei der Deutschen Hospizstiftung. Aber Unterlagen fand ich in ihren Papieren nicht.

Anruf dort. Vollmacht von Frau Bolsinger lag mir vor. Ab mit der Verfügung zur Klinik.

9 Tage Intensivstation - dann zurück auf die Innere Abteilung. So war Frau Bolsinger über die Ostertage in der Klinik, aber mit den Assistentinnen.

Jetzt beginnt der chronologische Ablauf einer letzten Odysee von Frau Bolsinger. Nur aufgrund der voliegenden Vollmacht von ihr für mich, ihrer Patientenverfügung , ihren Assistentinnen und der Sterbegeldversicherung war es uns allen möglich das umsetzen, was Frau Bolsinger gewollt hat.

Das Leben konnten wir ihr aber nicht geben.

09.04.2012 Ich besuche Frau Bolsinger auf der Inneren Station, im Isolationszimmer. Sie freut sich auf den Journalistenbesuch am 23.04.. Wir lachen miteinander, sie sitzt auf der Bettkante und wünscht, dass die Ostereier, die sie geschenkt bekommt hat, mitgenommen werden und verteilt werden sollen im Büro, an Herrn Bettler.

10.04.2012 Zwei Assistentinnen kommen in die Klinik am Vormittag. Bettgitter sind hochgezogen, Frau Bolsinger „schläft“. Ich werde angerufen und informiert. Assistentinnen fragen im Stationszimmer nach, Achselzucken ! Frau Bolsinger „wacht“ auf, spricht normal, Assistentinnen nehmen Bettgitter herunter. Später kommt andere Assistentin: spricht mit Frau Bolsinger und bleibt zwei Stunden. Entlassung für 11.04.2012 gegen 12.00 Uhr festgelegt.

11.04.2012 Anruf der Klinik: Es muss das transportable Sauerstoffgerät gebracht werden.

Muss in der Klinik sein. Schreibe sofort an die Klinik eine Verlustmeldung !!! Bestelle neues Gerät bei Linde.

12.00 Uhr KEINE Rückkehr nach Magstadt

15.00 Uhr Rettungswagen bringt Frau Bolsinger zurück nach Hause !

Frau Bolsinger wird in ihr Bett gelegt. Sie lallt, zuckt mit der rechten Schulter und Arm/Hand.

Rettungssani zeigen Unverständnis. Assistentin ist verzweifelt, liest mir den Entlassbericht vor: „Patientin wird in einem allgemein verbesserten Zustand entlassen“. MRSA frei !!!!

Hausärztin wird informiert.

Mehrere Assistentinnen sind bei Frau Bolsinger - erschüttert.

Ich komme gegen 18.00 Uhr bei Frau Bolsinger an und bin ebenfalls erschüttert über den Anblick, der sich mir bietet. Hausarzt versucht irgendwas, meint dann „Wie kam sie hierher nach Magstadt - ach, sehen sie, sie beruhigt sich. Was menschlich Nähe doch ausmacht“.

Ich bleibe bis 23.00 Uhr. Beruhige Frau Bolsinger, die Assistentinnen, bespreche wie es jetzt weiterläuft: Grundpflege, Lagerungen-protokolle ect. ect.

12.04.2012 08.00 Uhr Frau Bolsinger nicht ansprechbar. Schicke Pflegefachkraft nach Magstadt.

Assistentinnen informieren Hausarzt. Kommt, schaut nicht nach Frau Bolsinger, schreibt Krankentransport für Klinik Bad Cannstatt aus !!!

Herr Bettler fährt sofort nach Magstadt um sich ein eigenes Bild der Situation zu machen.

Ich fahre nach Magstadt. Gemeinsam besprechen wir, dass Frau Bolsinger nicht nach Cannstatt kommt, sondern nach Böblingen. Hausarzt . keine Praxiszeiten am Donnerstagnachmittag.

Wir sprechen im Team ab. Krankentransport holt Frau Bolsinger ab in die Klinik Böblingen.

NULL MRSA !! Unglaublich.

Ich bleibe zusammen mit einer Assistentin ab sofort bei Frau Bolsinger !

Untersuchungen in der Klinik Böblingen ergeben keine Lungenprobleme, keine Darmprobleme ....

sondern neurologische !!! Wie wir bereits am 11.04. bei der Entlassung dem Hausarzt gesagt haben.

Frau Bolsinger wird erneut transportiert von Böblingen nach Sindelfingen.

Dort auf der Strokt Unit Station zeigt mit die Ärztin die Gehirnblutungen !!!

Bedrohlich !

Und fragt: „Fiel Frau Bolsinger auf dem Bett ?“.

Nicht bei uns, war meine Antwort. Aber was war am 10.04. auf der Inneren Station in Sindelfingen, warum waren die Bettgitter hochgestellt?

Davon erzählte ich der Ärztin.

 

Frau Bolsinger kam am 13.04.2012 morgens um 5.00 Uhr auf die Neurologische Station Schlaganfallabteilung Stroke Unit, immer noch MRSA frei.

Ich zog für diesen Tag erst einmal die Assistentinnen „ab“.

Am Abend gegen 18.00 Uhr besuchte ich Frau Bolsinger, die nicht ansprechbar war.

Ich nahm „Abschied“ von ihr und bat um Anruf, wenn sich ihr Zustand verschlechtern sollte, wir wären dann gekommen.

 

14.04.2012 Ich fahre zusammen mit einer Assistentin gegen 10.00 Uhr in die Klinik.

Auf dem Flur sagt man uns, dass der Herr Prof. Arnold mit uns sprechen möchte ! Und, Frau Bolsinger habe gesungen !!!

Wir haben uns gefreut. Und Frau Bolsinger nahm uns wahr.

Herr Prof. Arnold bat Steffi und mich in ein Arztzimmer und nahm sich eine Stunde Zeit !

„Man hat uns, von der Neurologie nicht gerufen, auf die Innere“, so begann der Prof.

Also doch ! Irgendetwas war geschehen am 10.04.2012 mit Frau Bolsinger.

Aber in dem Moment war unser Ansinnen: Was ist jetzt gut für Frau Bolsinger !

Der Prof. schlug vor, dass die Assistentinnen aufgenommen werden und sich ab sofort intensiv um Frau Bolsinger kümmern dürfen unter Anleitung vom Klinikpflegepersonal und ..... das Frau Bolsinger eine MRSA Patientin sei, also in ein Isolierzimmer verlegt werden müsse, sofort.

Und, dass er und sein Oberarzt täglich mit mir ein Gespräch führen würden unter Einbeziehung der Patientenverfügung von Frau Bolsinger.

Steffi bliebt sofort bei Frau Bolsinger. Sie übernahm die Dienstplangestaltung und ich fuhr sofort ins Büro um zwei neue Assistentinnen zu gewinnen. Denn, nicht jede Assistentin war offen für eine intensive Pflege und intensivie Betreuung in der Klinik.

16.04.2012 Meinung der behandelnden Ärzte: Frau Bolsinger wird nach Hause entlassen, dann wieder: Frau Bolsinger bleibt. Reaktion der Hausärztin war: es wird Leichenfledderei betrieben. Assistentinnen waren schockiert. Gespräche wieder mit den Ärzten der Klinik: Sie bleibt auf der Station.

18.04.2012 wurde noch eine Sonde gelegt. Gegen den ausdrücklichen Willen von Frau Bolsinger. Aber Steffi war bei ihr während des Eingriffes. Und es „lief“ auch keine Sondennahrung!

19.04.2012 Entscheidung: Sauerstoff wird abgestellt. Infusionen bleiben.

21.04.2012 23.58 Uhr der letzte Atemzug von Frau Bolsinger

22.04.2012 00.26 Uhr der letzte Pulsschlag von Frau Bolsinger - ihre Sterbeminute.

 

22.04.2012 Petra, die Assistentin, half der Pflegefachkraft beim Richten der Verstorbenen.

 

Petra und ich blieben bei Frau Bolsinger.

Als wir uns verabschiedeten von den Pflegefachkräften fühlten wir eine große Erleichterung, ihr, Frau Bolsinger, den würdevollsten Abschied haben geben zu können. Eine Dankbarkeit machte sich breit, diese Frau kennenlernen zu dürfen, diese Frau in dieser kurzen Zeit dass geben konnten, was sie sich wünschte.

Aber, was ist Zeit ?!

 

Des Menschen Leben ist der vorbei huschende

Augenblick des Lebendinge,

ist unser Kinderspiel auf Erden.

Ein Lichtschatten,

ein fliegender Vopgel,

Spur eines fahrenden Schiffes.

Staub, Nebelhauch, Morgentau

und .... aufbrechende Blume. Greogor von Nazianz.

 

Vor fast zweitausend Jahren entstand diese poetische Beschreibung dessen, was man „Leben“ nennt und wenn wir sie aufmerksam betrachten, sehen wir das eigene Dasein und das der Menschen, die um uns sind.

 

So begann die Trauerrednerin ihre Worte zum Abschied von Maria-Elisabeth Bolsinger am 26. April 2012 im Bestattungshaus Märtin in Leonberg.

 

Donnerstag, 19.04.2012: Nach dem Gespräch mit den Ärzten suche ich in den Unterlagen von Frau Bolsinger die Police der Sterbegeldversicherung. Finde nichts. Rufe bei der Versicherung an, muss meine Vollmacht faxen und erfahre, dass Frau Bolsinger vor zwei Jahren eine Sterbegeldversicherung abgeschlossen. Als Bezugsberechtigte sind Namen angegeben: die ich von Frau Bolsinger nicht gehört hatte. Was waren das für Menschen? Woher bekam ich deren Anschriften?

Ich sprach mich mit dem Assistentinnenteam ab. Die Entscheidung war schnell gefällt: Frau Bolsinger soll ihren letzten Willen erfüllt bekommen. Eine Trauerfeier, ein Grab auf den jemand Blumen stellt.

Ich stellte bereits am 19.04.2012 den Antrag an die Sterbegeldversicherung die Bezugsberechtigung zu ändern auf das Bestattungshaus Märtin, Leonberg.

 

Freitag, 20.04.2012: Um 7.30 Uhr trafen Steffi und ich mit einem Mitarbeiter vom Bestattungshaus Märtin zusammen. Wir nahmen uns Zeit. Nach ein paar Stunden hatten wir gemeinsam alles ausgewählt was Frau Bolsinger Freude gemacht hätte: eine Trauerfeier, eine Traueranzeige, eine Urnenbeisetzung, ein Grab auf dem Friedhof Magstadt, 25 Jahre Grabpflege, Blumen nach dem Geschmack von Frau Bolsinger. Das Bestattungshaus Märtin hat uns da sehr mitfühlend unterstützt.

 

Donnerstag, 26.04.2012 um 14.30 Uhr fand die bewegende Trauerfeier für Frau Bolsinger in Leonberg im Bestattungshaus Märtin statt.

Frau Manz, die Trauersprecherin, fand die richtigen und passenden Worte.

Die Schwester und der Cousin von Frau Bolsinger waren gekommen und mit ihnen das ganze Team von Frau Bolsinger und einige ihrer früheren Schulfreunde, sowie eine langjährige Freundin, aus Welzheim, die als Einzige Frau Bolsinger noch besucht hatte in der Klinik am 21.04.2012.

Die Trauergemeinde traf sich im Weinkeller Hirsch zu Kaffee und belegten Brötchen.

Die Schwester nahm das Angebot an, die Wohnung von Frau Bolsinger kennenzulernen. Eine Assistentin fuhr sie nach Magstadt.

 

Zu unseren Aufgaben zählt noch die Haushaltsauflösung und die Urnenbeisetzung.

 

25 Jahre weitere Jahre wird der Name Maria-Elisabeth Bolsinger nun zu lesen sein auf ihren Grabstein, wenn man über den Magstädter Friedhof spaziert.

Und Blumen werden auf ihr Grab gestellt werden, dafür haben wir Sorge getragen.

 

In unseren Herzen wird Maria-Elisabeth Bolsinger einen bleibenden Platz eingenommen haben.

 

Ein Frau, die fast 60 Jahre kämpfte um ein selbstbestimmtes eigenständiges Leben.

Wovon ich diese Frau 136 Tage, die letzten in ihrem fast 60jährigen Leben, sie kennenlernen und begleiten durfte.

 

Ich danke Frau Maria-Elisabeth Bolsinger für ihr Vertrauen und werde diese Erfahrungen wertschätzend in die vor mir liegende Arbeit und Aufgaben einfließen lassen.

 

Der Entschluss - Das Persönliche Budget nach § 17 SGB XI ist nie zu spät anzugehen.

 

 

 

Gerda Mahmens

Sozialer Dienst

 

Pour la vie - Pflege GmbH

 

Wollgrasweg 31, 70599 Stuttgart

Tel. 0711- 633 78 320

Mobil: 0176 - 10 425 980

Email: gerda.mahmens@pourlavie-pflege.de

www.pourlavie-pflege.de

 

 

Stuttgart, den 01.05.2012